Stetiges Wachstum schafft Arbeitsplätze. Zumindest im Bezug auf die Branche der Nagelstudios, die in der Frankfurter Innenstadt in bislang nur von Spielhallen und Drogeriemärkten bekannter Nähe zueinander eröffnet werden, ist diese wirtschaftswissenschaftliche These unumstritten. Der menschliche Fingernagel wächst 1 mm in der Woche. Das sind abscheulich vorzustellende 5,2 Zentimeter Jahr. Wachstum kann also durchaus auch Belastung sein. Als Belästigung wird jene unaufhörliche Längenzunahme zumindest von manchem männlichen Zeitgenossen wahrgenommen. Oder vielmehr stört ihn der von gesellschaftlicher Konvention und Lebensabschnittsgefährtin ausgeübte Zwang, Fuß- und Fingernägel regelmäßig auf e in weniger urwüchsiges Maß zu stutzen. Auch hier profitiert wiederum ein Industriezweig; namentlich der der Nagelknipserindustrie, über deren Produktionsausstoß jedoch keine verlässlichen Zahlen zu recherchieren waren, so dass ihre volkswirtschaftliche Relevanz hier als vernachlässigbar gelten soll.

Ähnlich sieht es nun in Frankfurt aus. Die Stadt wächst wie alle deutschen Metropolen unaufhaltsam. Zu der ohnehin schon weltweit zu beobachtenden Anziehungskraft von urbanen Ballungsräumen kommen in „Mainhattan“ noch die oft erfolgreichen Bemühungen der städtischen Wirtschaftsförderung zur Ansiedlung von Industrie- und Dienstleistungsgewerbe sowie Frankfurts Status als ganz heißer Kandidat für die Brexit-Flüchtlinge der Londoner Finanzbranche.

Doch auch ohne EU-Austritt der Briten werden bis zum Jahr 2030 nach Schätzungen weitere 80.000 Menschen neu nach Frankfurt übersiedeln. Zwar wird in Frankfurt allerorten fleißig gebaut, aber häufig in dem Preissegment, das fern der Möglichkeit eines Berufseinsteigergehaltes oder einer Rente liegt. Um für die überwiegende Mehrheit der Einwohner bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, muss die Stadt mit der steigenden Bevölkerungszahl mitwachsen. Nur wohin?

„Macht die Räume dicht!“…

…ist eine in vielen Mannschaftssportarten von der Trainerbank hereingerufene Taktikanweisung, die auch in der Stadtplanung Anwendung findet. Hier nennt sie sich dann jedoch „Nachverdichtung“ und bedeutet grob umrissen: Wo noch Platz ist, wird gebaut.

Kein Problem bei hässlichen Industriebrachen. Und auch Europas größte Konversionsfläche, der ehemalige Frankfurter Güterbahnhof, steht heute kurz vor dem Abschluss ihrer Metamorphose zum schicken, neuen „Europaviertel“, das sich überproportional großen Zuspruchs von chinesischen Neubürgerinnen und -bürgern erfreut. Dort wo aber Kleingärten, Stadtteilplätze, Straßenbäume, Frischluftschneisen oder der offenbar von vielen geschätzte Feldhamster durch den Wohnungsbau bedroht sind, werden schnell die Gemüter heiß.

Wie eine solche Debatte verläuft und wo die Herausforderungen in der Kommunikation zwischen den einzelnen Interessengruppen und die Moderationsaufgaben für die abschließende Konsenserzielung liegen, wird derzeit im Frankfurter Nordwesten veranschaulicht.

Die Stadtpolitik ist willens einen neuen, bislang noch namenlosen Stadtteil entstehen zu lassen. Der wäre jedoch durch die Bundesautobahn 5 zerteilt und entstünde größtenteils in sanften Hügeln mit bislang landwirtschaftlich genutztem Ackerboden bester Güteklasse. Die angrenzenden Kleinstadtbürgermeister fürchten außerdem nicht ganz unbegründet, ihre Ortschaften könnten durch einen nahtlosen Anschluss an Frankfurt unfreiwillig in Großstadtviertel verwandelt werden.

Wenn weltweit Städte wachsen, dann wohin?

Überraschend sind hier die Parallelen zu Metropolen in Weltgegenden, in denen man sie so nicht erwartet hätte: In den sanften Hügeln unmittelbar neben der etwa 100 Kilometer langen Autobahn zwischen Kairo, dem Roten Meer und dem Suezkanal liegt eine der größten Baustellen Afrikas. Denn wie einst der lebenspendende Nil, tritt auch die ägyptische Hauptstadt Kairo mittlerweile sogar dauerhaft über die Ufer. Die Kaskaden von Autos, Menschenströmen und Gebäuden machen die Stadt unschiffbar.

An Nachverdichtung ist hier nicht mehr zu denken. Die hat längst weitgehend unkoordiniert und bisweilen chaotisch stattgefunden. Sinnvolle Umstrukturierungen wären nun zu grundlegend, als dass sie am offenen Herzen einer lebendigen Stadt durchgeführt werden könnten.

Nun gibt es in Ägypten jedoch einen offenkundigen und Jahrtausende alten Hang zu Monumentalbaustellen, deren pyramidale Zeugnisse in Sichtweite Kairos zu sehen sind. Vielleicht auch deshalb entstand also der mit pharaonischem Ehrgeiz gefasste Entschluss, anders als in Frankfurt nicht nur einen neuen Stadtteil sondern gleich die gesamte Hauptstadt an anderer Stelle neu zu bauen. In der Wüste nebenan gibt es nämlich ausreichend Platz – außer für Bescheidenheit. Denn in der neuen Kapitale, die wie der neue Frankfurter Stadtteil ebenfalls noch keinen Namen hat, sollen sechseinhalb Millionen Menschen leben und arbeiten.

Neben Frankfurt keine Wüste

Die Grundmauern der Kathedrale für die christliche Minderheit stehen bereits. Dreistöckig soll sie werden, mit dem Fassungsvermögen eines Fußballstadions. Dazu kommen im Vorfeld des künftigen Regierungsviertels das obligatorische Kongresszentrum und Hotels, eine Oper, Theater, Kinos, Restaurants und Geschäfte. Nächstes Jahr sollen bereits der Präsidentenpalast, das Parlamentsgebäude und die Ministerien fertiggestellt sein. Und wie selbstverständlich ist auch der höchste Wolkenkratzer des afrikanischen Kontinents in der ägyptischen Gigapolis geplant, in einem nächsten Bauabschnitt entsteht dann noch ein Wirtschafts- und Bankenviertel. Bis dahin wird in Frankfurt der höchste Wohnturm Deutschlands bereits fertig gestellt sein, vom Bankenviertel ganz zu schweigen.

Eine erste Siedlung mit 35.000 Wohnungen ist in der ägyptischen Neustadt schon bezugsfertig. Doch es scheint unwahrscheinlich, dass die Löhne der Arbeiter, die sie gebaut haben, ausreichen werden um dort selbst einmal wohnen zu können. Das Interesse chinesischer Unternehmen ist aber bereits signalisiert. Und sie werden sich die Wohn- und Geschäftsräume dort leisten können. Auch im Frankfurter Europaviertel zieren ja bereits zahlreiche chinesische Firmen- und Familiennamen die Klingelschilder.

Noch mal ganz von vorne anzufangen, die Fehler der Vergangenheit hinter sich lassen, eine Stadt für die Zukunft zu bauen und nicht nur für die Gegenwart. Das ist der Blütentraum der stadtplanerischen Zunft. Aber neben Frankfurt liegt nun einmal nicht die Wüste. Sondern die Wetterau.