Als es das erste Mal knallte, habe man vom indonesischen Yoyakarta eine Abteilung Truppen ausgesandt, weil man einen Angriff auf einen benachbarten Posten vermutete. Bei weiteren Donnerschlägen habe man Boote entlang der Küste geschickt, um ein vermeintlich in Seenot geratenes und mit Kanonenschüssen nach Hilfe signalisierendes Schiff zu suchen, schrieb Sir Thomas Raffles, der Begründer des modernen Singapur.
Bei Einbruch der Nacht des 10. April 1815 zeigte der Vulkan Tambora östlich von Java dann vollends was in ihm steckte und ließ es so sehr krachen, dass es noch in 1800 Kilometern Entfernung zu hören war und sich der Himmel im Umkreis von 600 Kilometern zwei Tage vollständig verdunkelte. Es war mit der Sprengkraft von 170.000 Hiroshimabomben der gewaltigste Vulkanausbruch seit der Altsteinzeit. Die gewaltigen Staub- und Aschewolken verteilten sich im Folgejahr über den gesamten Erdball, veränderten das Klima und führten in jenem Elendsjahr ohne Sommer auf der Nordhalbkugel zu erheblichen Missernten und Hungersnöten.
Sie waren die treibende Kraft und der Mobilitätsgarant der noch jungen Industrialisierung gewesen. Doch als nach dem Vulkan auch die Haferpreise explodierten, fiel ein Großteil der Pferde dem Schlachterbeil zum Opfer.
In Ermangelung eines reitbaren Untersatzes erdachte Karl von Drais im folgenden Sommer deshalb den fahrbaren Untersatz und damit das Ur-Fahrrad. Ein „Draisine“ getauftes Laufrad, mit dem heutzutage im Wesentlichen behelmte Dreijährige über die Gehwege mäandern.
„Dooring“ und der holländische Griff
Als es knallte, rissen die Passanten die Köpfe herum. Einige wenige zückten die Mobiltelefone um nach Hilfe zu rufen, so dass ein Rettungswagen ausgesandt werden würde. Der Radfahrer selbst, der sich gerade auf dem Asphalt mit verdunkeltem Gemüt aus dem Rahmen seines Gefährts entspann, hatte den Schlag selbst nicht gehört. Die Autofahrerin, die unbedacht und deshalb schwungvoll die Autotür aufgeworfen hatte, wirkte dagegen wie vom Donner gerührt.
Ganz offensichtlich hatte sie auf den „holländischen Griff“ verzichtet, bei dem die Autotür mit der rechten Hand geöffnet wird, so dass ganz zwangläufig über die Schulter geblickt wird und kein Radler an der Innenverkleidung der Tür zerschellen muss.
Nach einer Studie der Unfallforschung der Versicherer ist jeder 14. Zusammenstoß zwischen Auto und Fahrrad ein im Unfallopfer-Jargon „Dooring“ genannter Tür-Unfall.
Brenzlig wird es im Großstadtverkehr auch, wenn die Wege abrupt enden, die in unzähligen Markierungs- und Oberflächenvarianten aus mehreren Epochen der Verkehrspolitik für den Radverkehr ausgewiesen wurden. Dabei ist es angesichts der Herausforderung, plötzlich in den deutlich schnelleren Autoverkehr einscheren zu müssen, ganz unerheblich, ob gerade der Paketbote, ein Baustellenklo oder die Nachlässigkeit eines Verkehrsplaners den Radschutzstreifen beendet hat.
„Man sieht nur mit dem Herzen gut“ ist kein Zitat aus der Straßenverkehrsordnung, deshalb kann es tödlich enden, wenn rechtsabbiegende Lastwagen die neben ihnen fahrenden Radler schlichtweg übersehen. Softwarelösungen können hier helfen, doch das Grundproblem ist die Straßenraumgestaltung und die ist bis auf wenige Ausnahmen in vielen deutschen Städten ähnlich: Dort, wo es Radwege gibt, sind sie zu schmal, uneinheitlich, unterbrochen, nicht von Autoverkehr und Fußgängern getrennt und zugeparkt.
#runtervomradweg
Doch dagegen regt sich Widerstand.
Und diesmal nicht bloß unter den von Wind und Regen gegerbten Rad-Ultras, die ihr Leben in zwei Fahrradtaschen unterbringen können und seit Jahrzehnten in Goretex-Kombis im Sattel verbringen.
Die neue Graswurzel-Bewegung wird in ihrer Breite getragen von Stadtbewohnern, die das Fahrrad unideologisch und nüchtern als das geeignetste Mobilitätswerkzeug identifiziert haben. Zwar ist in der Großstadt das Eigengewicht des Velos zusätzlich nochmal in Fahrradschlössern mitzuführen um für längere Zeit in seinem Besitz zu bleiben; die Zeit- und Geldersparnis und die Gesundheitsdividende des Radfahrens sind aber offenkundig.
Vorbei sind die Zeiten, in denen der Forderungskatalog der Radfahrverbände in kleiner Auflage auf Zellulose gedruckt und deshalb ungelesen blieb. In den neuen Radfahrbewegungen der Metropolen twittern junge Frauen ihre Forderung #runtervomradweg so reichweitenstark, dass längst die Medien, deren Mitarbeiter selbst häufig auf zwei Rädern in die Redaktionen pendeln, darauf aufmerksam geworden sind.
Die Forderungen nach Wegen, die sicheren, zügigen und angstfreien Radverkehr ermöglichen, sind breit gestreut und unüberhörbar, so dass es hier des stoischen Gleichmuts des Kommunalpolitikers bedarf um noch untätig zu bleiben.
Doch auch dagegen ist nunmehr ein Graswurzelkraut gewachsen. In ganz Deutschland sprießen sogenannte Radentscheide aus dem Boden, sammeln Unterschriften und streben Bürger- und Volksentscheide an, mit denen die Forderungen nach einer zukunftsgerichteten Radverkehrspolitik forciert werden sollen. In Frankfurt hat die Initiative die erste Hürde der dafür notwendigen 40.000 Unterschriften locker genommen.
Im Namen des Volkes
Es gab keinen Knall, denn der Richterhammer ist hierzulande nur aus US-Fernsehserien bekannt.
Der Donnerschlag war dennoch nicht nur in Frankfurt, sondern in der ganzen Republik zu hören.
Das Urteil verdunkelte über Tage die Gemüter der Frankfurter Kommunalpolitiker und reflexhaft signalisierten sie nach Hilfe aus Berlin.
Denn die 4. Kammer des Wiesbadener Verwaltungsgerichtes hatte in ihrem Urteil die Stadt Frankfurt verpflichtet ab dem Februar des Folgejahres zonenbezogene Fahrverbote für Dieselfahrzeuge zu erlassen und dem Land Hessen aufgegeben die Busse mit Stickoxid-Filtern nachzurüsten und zusätzliche Anreize für den Umstieg auf den öffentlichen Nahverkehr zu setzen.
Letzterer ist in der Mainmetropole Frankfurt jedoch weitgehend an seinen Kapazitätsgrenzen angelangt, so dass das Urteil in der Konsequenz wohl auch einen erheblichen Ausbau der Radwegeinfrastruktur bedeuten muss, will man eine sowohl für den Stadtverkehr als auch für die Luftreinhaltung zweckdienliche Alternative aufzeigen.
Der Vulkan Tambora entlud sich plötzlich und mit jenem großen Knall, weil sich über lange Zeit gewaltiger Druck unter ihm aufgestaut hatte, der keine Wege zum Entweichen fand.
Offenbar gilt also nicht nur in der Geologie sondern auch in vielen anderen Gesellschaftsbereichen der Aphorismus von Saint-Exupérys kleinem Prinzen:„Wer Vulkane hat, der muss sie schön putzen, ansonsten explodieren sie.“