Erwacht mit klebrigem Haar aus dem traumlosen Schlaf, in den man erst weit nach Mitternacht hineingefunden hatte und der, um ihn überhaupt fortsetzen zu können, in seiner Mitte von einer kalten Dusche unterbrochen werden musste. Mehr erschöpfte Bewusstlosigkeit als erholsamer Schlummer.
Eine Tropennacht. Eine von vielen in einer Reihe hochsommerlicher Wochen, für die keine Fernreise jenseits des Wendekreises nötig war.
Die Stadtwohnung hat jede Aufenthaltsqualität eingebüßt und dient nur mehr als warmer, stickiger begehbarer Kleiderschrank zum Abschließen. Den Instinkt ein Fenster zu öffnen haben wir uns leidlich abtrainiert. Nichts Kühles ist von draußen zu erwarten. Nur Gleißendes.
Verdorrt sind schon nach einigen Tagen die Zimmerpflanzen auf dem Fensterbrett, die bislang erfahrungsgemäß doch auch mal zwei Wochen ohne Fürsorge ausgehalten hatten. Entsorgt man sie auf dem Weg nach Draußen anständig in der Biotonne unten im Hof, stellt man fest, dass dort das Leben im feuchtwarmen Dunkel mehr denn je erblüht ist und sich kriechend und schwärmend vervielfacht hat.
Der Nachbarin gelingt es übrigens, nicht nur ihre Topfpflanzen über den Sommer zu bringen, sondern darüber hinaus auch noch kannenweise Wasser aus dem vierten Stock herunter zu schleppen, um den jungen Stadtbaum vor dem Haus aufs Nötigste zu bewässern. In den Medien hatte das städtische Grünflächenamt nicht ohne Pathos zur Rettung der Bäume aufgerufen. Es hat gewirkt. Sie gießt.
Frankfurt, 50° 6′ Nord, 8° 40′ Ost, 36° Celsius
Als gebrannte Kinder, die wir in diesem Sommer geworden sind, haben wir gelernt, erst prüfend die Hand auf die Kunstlederoberfläche unseres sonnenbeschienenen Fahrradsattels zu legen, bevor wir uns mit blanken Schenkeln darauf schwingen und sogleich mit ihm verbacken.
Unterwegs werden unwillkürlich Assoziationen an den Italienurlaub `88 in uns laut, wenn wir an den in der Hitze geruhsam vor sich hin simmernden Müllcontainern der sommerlichen Stadt vorbei radeln und der unvergessliche Dunst warmen, vergorenen Hausmülls uns umfängt. Übertroffen nur von dem Muff mumifizierter Kadaver von Ratten und Stadtkaninchen, die in den Gebüschen der Grünanlagen verdurstet und vergangen sind.
Wir treffen auf Menschen, die an der Fußgängerampel schräg hintereinander in Reih und Glied stehen und erst beim Näherkommen erkennen wir, dass es nicht der Ordnung, sondern des schmalen Schattens des Laternenmastes wegen ist. Und wir treffen auf andere unbelehrbare Stadtbewohner mit widerwärtig anzusehenden, abblätternden Sonnenbränden, die man in dieser Ausgeprägtheit bislang vor allem von britischen Balearen-Reisenden kannte.
Auf den Wiesen des Mainufers haben sie ihre Hautschäden aber nicht erworben, denn das steinharte, strohige Ödland meiden längst auch die Sonnenhungrigsten. Auch das Grillen ist auf allen Grünflächen der Stadt schon längst untersagt. Wegen Brandgefahr.
Der Fluss selbst zeigt mit einer braunen Kruste an der Uferbefestigung an, wie viel er selbst schon diesem Sommer Tribut gezollt hat. Und dort, wo er langsam fließt oder steht, riecht er auch nicht mehr so gut. In diesen Monaten zeigen die Großstadtflüsse, was in ihnen steckt. Nämlich Einkaufswagen, Altreifen, aufgebrochene Tresore aus Einbrüchen und mancherorts sogar Weltkriegsmunition.
Der Sommer ist sehr groß
Nicht alles ist Zumutung im Großstadtsommer. Etwa das zunächst ungewohnte, dann aber überaus befriedigende Gefühl in den Teerfugen des Straßenbelages Schuhabdrücke hinterlassen zu können.
Ort der Erholung ist beispielsweise die Umkleidekabine in einer der zahlreichen klimatisierten Bekleidungswarenhäuser entlang der Einkaufsstraße, in der wir bei geschlossenem Vorhang und Augen für einige Minuten buchstäblich zum Boxenstopp verweilen wollen.
Die Restaurants mit Sonnenschirmen sind gut besucht. Die ohne, nicht. Was man dort verzehrt, muss man, weil man sich langfristig nicht gegen sie verteidigen kann, mit einem halben Dutzend Wespen teilen. Auf den Fernsehschirmen, die sonst Fußball zeigen, läuft eine Sondersendung zur Hitze, die im Wesentlichen darüber informiert, dass es heiß ist und dass Brandgefahr besteht.
Unten am Main findet an diesem Wochenende ein Traditionsfest statt. Das traditionelle Feuerwerk aber nicht. Nämlich wegen Brandgefahr. Auch die Freiluft-Inszenierung eines Theaterensembles, dessen Dramaturgie eine fünf Meter hohe Feuersäule vorsah, bleibt ungezeigt. Natürlich.
Den mediterranen Lebenswandel hatten wir schon nach wenigen Wochen erlernt, treffen uns erst um Zehn in den Bars, um uns gemeinsam von den in jeder Ecke postierten Ventilatoren die Haare in den Mund und die Asche aus den Aschenbechern pusten zu lassen.
Dabei tauschen wir unsere Allerweltsweisheiten aus, wie die Wohnung in diesen Tagen kühl zu halten sei, wohl wissend, dass sie alle längst ihre Wirkungslosigkeit während der vergangenen Wochen jenseits der 30 Grad unter Beweis gestellt haben.
Wenn darüber alles gesagt ist, unterhalten wir uns wie immer: über das Wetter.