Change Management: Damit Industrie 4.0 nicht scheitert

Industrie 4.0 ist in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung dominant, im gesellschaftlichen Diskurs allgegenwärtig und auch in der unternehmerischen Praxis zunehmend etabliert. An den Erwartungen an die vierte industrielle Revolution aber scheiden sich die Geister. Die einen überschlagen sich vor Begeisterung ob der unendlichen Möglichkeiten von Mass Customization, also der individualisierten Massenproduktion, auf Basis einer vernetzten, selbstlernenden und selbstoptimierenden Produktion und Logistik und sehen darin immense Wachstumspotentiale und Effizienzgewinne. Die anderen sorgen sich um Massenarbeitslosigkeit und menschenleere Fabriken, fordern ein Überdenken des Arbeitsverständnisses, neue Rahmenbedingungen und Sicherheiten.

Industrie 4.0 – Fluch oder Segen? Eine Frage der Perspektive. Und der Kommunikation

Studien gehen in ihren Schätzungen – sowohl den Produktivitätszuwachs, als auch die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt betreffend – weit auseinander. Verlässliche Daten sind rar, die Schwankungen entsprechend groß. Folglich ist die Frage der Prognose auch eine des Glaubens, der Perspektive und der persönlichen Betroffenheit.

Während der Arbeitgeber – intrinsisch motiviert oder notgedrungen – die unternehmerischen Chancen des technologischen Fortschritts sucht, hängt die Betroffenheit und Einstellung des Arbeitnehmers nachvollziehbarerweise in erster Linie von seinen persönlichen Zukunftsperspektiven und der Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes ab. Genau diese Diskrepanz aber wird von Unternehmern zu häufig vernachlässigt und verhindert, dass Unternehmen ihr Potential voll ausschöpfen können.

„Culture eats strategy for breakfast, and technology for lunch“

Industrie 4.0 erfordert neue Denk- und Arbeitsweisen – das betrifft Techniken und Prozesse ebenso wie das Management und die Mitarbeiter. Die Mitarbeiter sind die sensibelste Drehschraube dieses Veränderungsprozesses. Sie sind Betroffene der Veränderung und gleichzeitig diejenigen, die die Veränderung im Unternehmen umsetzen und tragen werden. Sie wollen überzeugt und mitgenommen werden.

Die in der digitalen Fertigung liegenden Mehrwerte für Industrieunternehmen sind offensichtlich – Wertschöpfungspotentiale verbessern, Ausfallzeiten der Maschinen durch Fernüberwachung und vorbeugende Pflege reduzieren oder die Arbeitsproduktivität durch den Einsatz von Robotik erhöhen. Für die Mitarbeiter ergeben sie sich daraus nur bedingt.

Die intuitive Reaktion auf eine allenthalben als disruptiv beschriebene Veränderung ist nicht Begeisterung sondern Unsicherheit. Das wahrzunehmen, anzuerkennen und mitzudenken ist wesentlich. Im Grundsatz gilt das für jede Form betrieblicher Innovationen. Umfang und Komplexität der im Zusammenhang mit der Digitalisierung stattfindenden Umwälzungsprozesse sind allerdings erheblich größer.

Die Herausforderungen für Management, Kommunikation und Human Resources

Das notwendige Anwendungs- und Prozesswissen wächst. Es wird zunehmend erforderlich, auch vor-und nachgelagerte Arbeitsschritte zu verstehen. Mitarbeiter benötigen dabei Unterstützung und eine Sensibilisierung, die Schwellenängste senkt.

Und Industrie 4.0 greift die Identitäten der Mitarbeiter, insbesondere der mittleren Führungsebene, an. Wo sich heute persönliche Bedeutung durch Entscheidungs- und Gestaltungsspielräume definiert – in der Organisation von Arbeitsschritten und dem Aufbau des Arbeitsumfeldes – fällt künftig vieles davon weg. Der vernetzte Prozess selbst definiert seine Bedingungen. Die Einführung von Industrie 4.0 in den Unternehmen geht dann mit persönlichem Sinnverlust einher, Gestaltungsräume gehen verloren. Change Management muss diese Frustrationen auffangen und abfedern. Und es müssen neue Aufgaben definiert und Entwicklungsräume geschaffen werden.

Change Management und die Veränderung des Change Management 4.0

Die Vernetzung der Industrie 4.0 kreiert außerdem neue Spielwiesen und stellt damit auch das Change Management vor ganz neue Herausforderung. Zielte die Begleitung der Veränderung bislang auf Vorgänge innerhalb einer Organisation und geschlossene Ökosysteme, machen es vernetzte Abläufe in der Industrie 4.0 nötig, Partner in der Lieferkette einzubeziehen. Wenn beinahe jeder Produktionsschritt vom Mitwirken der Kollegen aus anderen Unternehmen abhängt, kann sich Change Management nicht mehr nur auf die eine Organisation beschränken. Interne Kommunikation schließt so auch Kunden, Lieferanten, Partner anderer „legal entities“ ein.

Das sind nicht nur logistisch neue Herausforderungen, sondern ebenso kulturell, rechtlich und ganz praktisch. Das Change Management erlebt aktuell seinen eigenen Wandel. Ihn zu verstehen und erfolgreich zu gestalten, ist die Voraussetzung für die Umsetzung von Digitalisierungsstrategien in den Organisationen.

 

...würde gerne Instrumente spielen, kam aber nie über die Melodica hinaus. Bei BCC orchestriert er sogar und berät strategisch und kommunikativ zu Transformations- und Nachhaltigkeitsthemen. Dort wo sich Dinge an den Schnittstellen von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft bewegen, ist sein Interesse geweckt.
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